IT Organisation 2025
Auf Transformationskurs: „Man braucht den Nordstern und Leuchttürme“
Agile Prozesse bringen Tempo in die Entwicklung digitaler Services. Wie die Zusammenarbeit einer darauf spezialisierten Einheit mit der klassischen IT funktioniert und was sie leisten kann, erläutert Daniel Thomas, Vorstand für Betriebsorganisation, Digitale Services und IT bei der HUK- COBURG, im Gespräch mit Thomas Heinevetter, Geschäftsführer der kobaltblau Management Consultants GmbH.
Wie sieht die künftige Zusammenarbeit zwischen IT und Business aus?
Thomas Heinevetter: Wie sieht die künftige Zusammenarbeit zwischen IT und Business bei der HUK- COBURG aus? Zur Wahl stehen vier Szenarien: 1. Business und IT verschmelzen komplett. 2. Die IT zerfällt in zwei Teile; der businessnahe Bereich verschmilzt mit dem Business wie in Szenario 1, der Infrastrukturbereich wird als Plattform- oder Foundational-IT organisiert. 3. Der Fokus liegt auf Produkt-IT und ähnelt dem zweiten, allerdings arbeiten nicht dezidierte, sondern virtuelle Teams aus Business und IT dann End-to-End zusammen. 4. Das Szenario ist nahe an der heutigen Struktur: Es gibt gemischte virtuelle Teams, aber auch klassische Plan-Build-Run-Teams in der IT. Wohin führt der Weg der IT bei HUK COBURG?
Daniel Thomas: Die IT der HUK-COBURG wird sich in fünf Jahren in Richtung Szenario drei bewegen.
Heinevetter: Was wären denn Bereiche, die bei neuen Zusammenarbeitsmodellen die Nase vorn haben?
Thomas: Man muss sich sehr genau anschauen, wo welches Modell von Vorteil ist. Bereiche, die Trends und großen Unsicherheiten unterliegen, sind prädestiniert für eine Ende-zu Ende-Produktverantwortung. Hier müssen Teams – egal ob virtuell oder fest zugeordnet – möglichst autark, autonom und schnell arbeiten.
Heinevetter: Auch als Citizen Developer und auf Basis von No-Code- bzw. Low-Code-Plattformen?
Thomas: Das kommt darauf an, welches Problem adressiert wird. Falls wertvolle IT-Ressourcen entlastet oder geschont werden sollen, kann der Einsatz eine Lösung sein. Ein Bestandsführungssystem lässt sich aber damit nicht realisieren. Die Frage nach No-Code oder Low-Code stellt sich auch dann nicht, wenn die Fachseite sich über die Lösung eines Problems noch gar nicht im Klaren ist.
Heinevetter: Was sind Faktoren, um die Bereiche Produktorientierung und produktorientierte Teams erfolgreich zu machen?
Thomas: Die Mischung macht´s. Es ist wichtig, in einem interdisziplinären Team die richtigen Skills mit dem richtigen Know-how zusammenzubringen – egal ob virtuell oder physisch in einer Einheit oder in mehreren Einheiten.
Heinevetter: Was ist das Besondere Ihrer Abteilung ´Digital Services´?
Thomas: Wir haben aus unseren Projektaktivitäten der vergangenen Jahre bei der Ausgestaltung der Kundenschnittstelle gelernt. Die eher lose Projektorganisation musste strukturell untermauert werden. Der Grund: Durch die teils schwierigen und langwierigen Abstimmungen mit den zahlreichen Stakeholdern hat das gewünschte Tempo gefehlt. Die Abteilung ´Digital Services‘ stellt den Rahmen und bestimmte Skills zur Verfügung. Ihre Aufgabe: Die Entwicklung digitaler Services für Endkunden gemeinsam mit den Businessverantwortlichen. Dazu zählen Webseiten und Apps, wie bspw. die Telematik-Dienste. Das Besondere: Diese Abteilung hat keine Businessverantwortung. Sie stellt die Skills und Verfahren bereit. Der Product Owner sitzt auf der Business-Seite, die die Fach-Skills beisteuert. Product Owner und Digital Service Owner bilden ein Tandem.
Heinevetter: Folgt das dem Spotify-Modell, bei dem kompetenzbezogene Teams gebündelt und dann je nach Anforderung oder Projekt virtuell und dynamisch den Bedarfen zur Verfügung gestellt werden?
Thomas: Das war das Ziel. In der Abteilung DS kann beispielsweise die Zahl der digitalen Serviceteams variieren. Die Teams sind dynamisch und nach Skills organisiert. Über einen gewissen Zeitraum bleiben sie konstant, damit sich die Mitglieder kennenlernen und die Prozesse sich einspielen. Derzeit schaffen wir es so, die zahlreichen Anforderungen und Vorhaben der Planung entsprechend umzusetzen.
Heinevetter: Wie verläuft die Zusammenarbeit mit der klassischen IT?
Thomas: Die klassische IT gibt es nach wie vor. Der Bereich digitale Services als Abteilung ist eingebettet in ein ansonsten auf dem klassischen Plan-Build-Run-Ansatz organisierten IT-Ressort. Es gibt natürlich Schnittstellen, beispielsweise zur Anwendungsentwicklung und zur Betriebsorganisation, in der unter anderem das Business Intelligence Center verwurzelt ist, das sich um das Datenmanagement, Data Warehouse und Data Lake-Themen kümmert. Und sie stützt ihre Entwicklungs- und auch Produktionsumgebungen auf Infrastrukturservices, die die Abteilung Informatik-Betrieb zur Verfügung stellt. Begleitend soll auch intern automatisiert werden. Das Idealbild: Für den Entwickler in der Abteilung DS macht es keinen Unterschied mehr, ob er sich eine Entwicklungsumgebung aus der Amazon Cloud oder aus der internen Cloud zusammenstellt. Das sollte möglichst per Selfservice und automatisiert erfolgen.
Heinevetter: Könnte der Bereich Digital Services eine Blaupause für andere Bereiche sein?
Thomas: Wir nehmen bereits heute daran Anleihen. Das bietet sich an, denn es werden bspw. gemeinsam Komponenten wie die HUK-Serviceplattform genutzt, die explizit dafür gebaut wurde. Diese Richtung wird weiterverfolgt.
Heinevetter: Wie wird sich die Rolle des Demand Managements entwickeln?
Thomas: In Teilen wird die Rolle des Demand Managers der Product Owner übernehmen – für uns heißt das: der Business Lead auf der Fachseite. Er soll die Anforderungen bündeln, die aus den verschiedenen Fachbereichen kommen, mit diesen eine Priorisierung vornehmen und festlegen, was im nächsten Sprint zu tun ist. Allerdings macht den Löwenanteil – über den gesamten Konzern betrachtet – noch das klassische Anforderungsmanagement aus, das eher dem Wasserfall-Modell folgt.
Heinevetter: Glauben Sie, dass auch hier mehr Agilität einzieht?
Thomas: Der Anteil der agil gesteuerten und geplanten Vorhaben wird zunehmen, weil sich die Reaktionszeit auf Marktgegebenheiten verkürzt. Dafür müssen beide Systeme optimal aufeinander abgestimmt sein.
Heinevetter: Unterschiedliche Prozesse – dennoch ein gemeinsames Portfolio. Wo liegen die Herausforderungen?
Thomas: Ein neuer Tarif in der KFZ-Versicherung zum Beispiel setzt mehr voraus als ein neuer digitaler Service im Frontend eines Tarifrechners. Die technologische Basis der stationären Vertriebseinheiten ist bspw. separat zu berücksichtigen und Beratungssysteme müssen aktualisiert werden. Diese Abhängigkeiten sind zu bedenken, die in Teilen die Agilität und Flexibilität ausbremsen. Die Herausforderung besteht unter anderem darin, Abhängigkeiten zu reduzieren, um den agilen Einheiten – egal ob in der Abteilung `Digitale Services` oder in anderen Abteilungen des IT-Ressorts – Handlungsspielräume zu geben. Das gilt auch für die Backend-Einheiten, in der es viele Abhängigkeiten aus der Vergangenheit gibt. Oberste Maxime früher: Ressourcenschonung, weil IT-Ressourcen teuer waren. Diese rein an Effizienz ausgerichteten Zeiten sind vorbei.
Heinevetter: Gibt es ein Zielszenario für die Frequenz von Aktualisierungen?
Thomas: In einem Szenario, in dem sich Wasserfallthemen mit ´agil´ kreuzen, entsteht hoher Abstimmungsaufwand, der sich auf den Planungsprozess auswirkt. Die Zielvorstellung ist generell, deutlich schneller auf Marktgegebenheit zu reagieren. Und mit dem agilen Ansatz nehmen wir Fahrt auf.
Heinevetter: Geschwindigkeit setzt Ressourcen voraus. Wie sieht ein ideales Ressourcen- beziehungsweise Skillmanagement aus, das Tempo garantiert?
Thomas: Ich bin ein Freund des professionellen Skillmanagements. Es hat den Vorteil, dass hinter den Ressourcen, die zur Verfügung stehen, tatsächlich auch valide Skills stehen. Damit können auch kurzfristig oder sogar automatisiert Skills zugeordnet werden. ´Automatisiert´ heißt dabei nicht, dass Zuordnungen über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg erfolgen. Denn Skillmanagement ist nur erfolgreich, wenn Skillanforderungen zu den Qualifikationen der Mitarbeiter passen und diese dadurch idealerweise intrinsisch motiviert werden.
Heinevetter: Mit einem modernen, agilen Skillmanagement geht auch eine Veränderung der Rollen und der Erwartungshaltung an diese einher. Wie verändert sich die Rolle einer Führungskraft zum Beispiel in Bezug auf People Lead oder Product Lead?
Thomas: In der Abteilung Digital Service zum Beispiel ist die disziplinarische Führungskraft für die Skillentwicklung zuständig (=People Lead). Sie hat aber weiterhin auch eine Lead- Funktion für das Segment, für das sie fachlich zuständig ist, beispielsweise UX. Die Entwicklung der digitalen Services steuert hingegen der Digital Service Owner gemeinsam mit dem Business Lead (=Product Lead).
Heinevetter: Zum Thema Datenorganisation oder auch datengetriebenes Unternehmen. Wird es bei HUK Coburg eventuell eine eigene Organisation für das Data LifeCycle Management mit der Rolle eines CDO geben?
Thomas: Das Geschäftsmodell der Versicherungsindustrie lebt seit jeher davon, mit Daten zu arbeiten und aus Daten Informationen zu gewinnen, um daraus Prämien oder Risiken zu berechnen. Allerdings wandeln sich die Anforderungen der Kunden, die heute oft Vergleiche mit Amazon oder Google ziehen. Um Schritt zu halten und um den Komfort für Kunden zu steigern, ist es sinnvoll, Daten aus vielen Datentöpfen zu nutzen. Es geht jetzt darum, eine Organisation aufzubauen, die das leisten kann. Eine Zentraleinheit, die für alles verantwortlich ist, was mit den Daten passiert, ist dafür eher ungeeignet. Sie sollte jedoch zumindest die grundlegenden Rahmenbedingungen schaffen. Dazu zählt beispielsweise die Ausgestaltung der Data Analytics-Governance.
Heinevetter: Was können Data Scientists leisten?
Thomas: Dieses Thema ist vielschichtig. Es ist eine Illusion, dass ein Data Analyst oder Scientist ein Modell erstellt, das alle Probleme löst. Damit lassen sich weder Kunden gewinnen noch die Kundenzufriedenheit steigern. Vielmehr muss das Ergebnis dieses Modells in neue Services, in Prozesse und wieder in eine Optimierung der Kernprozesse münden. Das ist Data Excellence. Die Grundvoraussetzung: Daten dürfen durch die heutigen Data Owner nicht abgeschottet, sondern müssen dem Unternehmen prinzipiell zugänglich gemacht werden.
Heinevetter: Wie sieht die Lösung für Sie aus?
Thomas: Ein gutes und geeignetes Modell für die HUK-COBURG ist vermutlich ein Hub-and-Spokes-Modell: eine Zentraleinheit – der Hub – mit einem klaren konzernübergreifenden Auftrag und mit einer Klammerfunktion für die Spokes, also den dezentral organisierten Data Analytics-Einheiten.
Heinevetter: Was wären denn Themen für die zentrale Einheit?
Thomas: Die Zentraleinheit könnte von der Geschäftsführung bspw. den Hauptauftrag erhalten: Maximiere den Wert aus unseren Daten für unser Unternehmen und konzertiere die Umsetzung durch die dezentralen Data Analytics-Einheiten. Sie stellt dafür ähnlich wie in der Projektplanung z.B. ein Data Analytics-Portfolio zusammen.
Heinevetter: Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren, um solche Transformationen zu gestalten?
Thomas: Wenn man nicht weiß, wie der Nordstern aussieht, wird man ihn auch nicht am Himmel finden. Ein Unternehmen muss den Kurs kennen, vorgeben und halten. Wenn der Kurs bei den einzelnen Vorständen nur ein paar Grad auseinander geht, dann gibt es am Ende Abweichungen, die das Ziel in weite Ferne rücken lassen. Es wird sicher immer Nachjustierungen geben, aber man sollte den Nordstern fest im Blick behalten. Und es braucht Leuchttürme und einfache strategische Kenngrößen die motivieren, beispielsweise die Steigerung der Kundenzahlen.
Heinevetter: Was sind Ihre Top 3 Handlungsfelder?
Thomas: Ein Top-Handlungsfeld bei der HUK-COBURG ist nach wie vor das Thema digitale Services. Der Konzern muss deutlich digitaler in seinem Service-Angebot werden. Digitalisierung bedeutet zuallererst auch, die Komplexität zu reduzieren, die Prozesse zu vereinfachen und dann darüber nachzudenken, wie sich die Ergebnisse in ein digitales Serviceportfolio einfügen lassen.
Zweiter Punkt ist das Thema Data Excellence. Es dauert, bis eine Organisation das Thema verinnerlicht hat und die Prozesse etabliert sind, die dann auch Wirkung zeigen.
Und das dritte große Feld heißt Skillmanagement. Wie soll das in Zukunft aussehen? Wie rekrutieren wir die richtigen Skills und wie befähigen wir die eigenen Mitarbeiter, die künftig benötigten Rollen wahrzunehmen? Alles Fragen, auf die wir heute schon Antworten brauchen.
Daniel Thomas
Daniel Thomas – Jahrgang 1976 – studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe. Er begann 2002 seine berufliche Laufbahn bei der HUK-COBURG. 2011 wurde er Leiter der Abteilung Kraftfahrt Betrieb, 2014 Generalbevollmächtigter der HUK-COBURG und gleichzeitig stellv. Vorstandsmitglied der HUK24. Seit Januar 2016 ist Daniel Thomas Mitglied der Vorstände der HUK-COBURG Versicherungsgruppe, zuständig für die Bereiche Betriebsorganisation, Informatik Anwendungsentwicklung und Betrieb sowie Digitale Services.